Symptomatische Therapie bei ALS

Die symptomatische Behandlung der ALS ist in der täglichen Betreuung von ALS-Patienten entscheidend.
Die je nach Lokalisation der Symptomatik und im Verlauf variablen Beschwerden von ALS-Patienten können durch symptomatische Therapien gelindert und die Lebensqualität verbessert werden. Grundlage der symptomatischen Therapie ist die Physiotherapie, oft kombiniert mit Logopädie und Ergotherapie. Die medikamentöse Therapie von Symptomen und die Bereitstellung von Hilfsmitteln kann im Bedarfsfall rasch ergänzt werden. Dem entgegen benötigen zwei entscheidende therapeutische Optionen, die Anlage einer PEG-Sonde und die Möglichkeiten der maschinellen Atemunterstützung rechtzeitige Aufklärung und Beratung, damit jeder Patient ausreichend Zeit hat eine gereifte und autonome Entscheidung zu treffen, ob und welche Therapieoption er wahrnehmen möchte. Durch die Abfassung einer Patientenverfügung kann er sicher stellen, dass zu dem Zeitpunkt, an dem insbesondere die Atemsituation kritisch wird, seine Entscheidung bekannt ist und respektiert wird (und z.B. Notfallintubationen vermieden werden). Nicht selten muss die Aufklärung mehrfach erfolgen.

Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie

Sobald erste Paresen der Extremitätenmuskulatur auftreten, ist Physiotherapie bei der amyotrophen lateralskleroseeine regelmäßige und dauerhafte Krankengymnastik (2-3/ Woche) notwendig. Die Ziele der Physiotherapie sind die Vermeidung von Kontrakturen, die Ökonomisierung der Bewegungen um die verbliebene Kraft effektiver zu nutzen, die Förderung der Reinnervation und die Behandlung einer eventuellen Spastik. Welche der verschiedenen Schulen der Physiotherapie „auf neurophysiologischer Grundlage“ (PNF, Bobath, Vojta) angewandt wird, ist nicht so entscheidend wie die Erfahrung des jeweiligen Therapeuten mit der Methode als auch dem Krankheitsbild.
Frühzeitig sollte die Atemmuskulatur in die Therapie einbezogen werden. Logopädische Therapie bei neuromuskulären Patienten hat zum Ziel die Verständlichkeit der Sprache zu fördern und die verbliebene Schluckfunktion zu unterstützen. Auch im Rahmen der Logopädie wird Atemmuskulaturtraining durchgeführt. Speziell die Handfunktion wird durch Ergotherapie unterstützt. Sowohl für die Aufrechterhaltung der Handfunktion als auch für die Aufrechterhaltung vieler anderer Funktionen sind Hilfsmittel verschiedener Art hilfreich. Besondere Erfahrung mit Hilfsmitteln bestehen oft bei Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten, deren Anregungen und Fachwissen die Auswahl erleichtert.

Ergotherapie bei ALS

Medikamentöse symptomatische Therapie

(Pseudo-)Hypersalivation, pathologisches Weinen und Lachen, zäher Schleim in den Atemwegen, Laryngospasmen, Muskelkrämpfe, Faszikulationen, Spastik, Angst und depressive Symptome und eventuell hinzutretende Schmerzen sind oft medikamentös linderbar.

Anlage einer PEG-Sonde

Schluckstörungen führen zu Gewichtsabnahme, Dehydratation, PEG AnlageAspirationsneigung und quälendem Essen und Trinken, das zeitlich den Großteil des Tages einnehmen kann. Regelmäßige Nachfrage nach dem Körpergewicht gibt objektive Hinweise über das Ausmaß der Schluckstörung. Feste Kriterien zum Zeitpunkt einer PEG-Sondenanlage bestehen nicht. PEG-Sondenanlage vermindert die Mortalität von ALS-Patienten. Um einer massiven Gewichtsabnahme aufgrund von Mangelernährung vorzubeugen und das Risiko bei der Anlage gering zu halten (Vitalkapazität unter 50% erhöht Anlagerisiko), wird eine frühzeitige Anlage empfohlen.

Behandlung der respiratorischen Insuffizienz

Es bestehen drei Möglichkeiten zur Behandlung der respiratorischen Insuffizienz bei ALS-Patienten. Sie unterscheiden sich in ihrer Effektivität, ihrer Invasivität und in ihrer Zielsetzung. Nasale Sauerstoffgabe behandelt die Hypoxie, beeinflusst jedoch nicht die Hyperkapnie. Sie lindert das Gefühl der Atemnot, verändert nicht die Hyperkapnie und kann den spontanen Atemantrieb vermindern. Nasale Sauerstoffgabe ist nicht-invasiv und ist in ihrer Zielsetzung eine rein palliative Therapie.

Kontrollierte Beatmung nach Anlage eines Tracheostomas behandelt effektiv Hypoxie und Hyperkapnie. Sie ist invasiv. Durch das von der Beatmung unabhängige Fortschreiten der Lähmungen der ALS-Patienten kann ein Überleben bis hin zur vollständigen Tetraplegie und minimalen Kommunikationsfähigkeit entstehen. Die Beendigung einer kontrollierten Beatmung führt zu extremen Belastungen der Patienten, ihrer Angehörigen und der behandelnden Ärzte. Kontrollierte Beatmung resultiert heute zumeist aus ungeplanten, evtl. ungewollten Notfallintubationen.
Nicht-invasive Maskenbeatmung behandelt ebenfalls Hypoxie und Hyperkapnie. Durch nicht-invasive Maskenbeatmung kann der Nachtschlaf verbessert werden (vermehrte respiratorische Insuffizienz im Liegen), die Wachheit und Atemsituation am Tag verbessert werden und vielfältige Symptome der respiratorischen Insuffizienz wie morgendliche Kopfschmerzen, Magenbeschwerden etc. verbessert werden. Dies führt v.a. zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Je nach Adaptation der Patienten an die Beatmungsmaske kann auch das Leben verlängert werden, das genaue Ausmaß der Lebensverlängerung ist jedoch nicht abschließend untersucht. Generell wird heute die nicht-invasive Maskenbeatmung eher frühzeitig empfohlen, ausgeprägte bulbäre Symptome erschweren ihre Anwendung. Zur Indikationsstellung und Durchführung der nicht-invasiven Maskenbeatmung ist die Überweisung in ein spezialisiertes Zentrum zu empfehlen. Eine Übersicht geben die Empfehlungen der bayerischen Muskelzentren in der DGM zur Heimbeatmung bei neuromuskulären Erkrankungen Erwachsener.
Bei der Aufklärung über Atemstörungen ist es wichtig zu betonen, dass die überwiegende Mehrheit der ALS-Patienten final durch die Hyperkapnie in eine Kohlendioxid-Narkose gerät und ohne wesentliches Leiden einschläft.

Vermehrter Speichelfluss

Vermehrter Speichelfluß bei der ALS kommt nicht von einer vermehrten Speichelproduktion, sondern von der Schluckstörung. Wir stellen pro Tag ca. 1,5 Liter Speichel her, der dann im Magen-Darm-Trakt wieder aufgenommen wird. Ein weitgehend unbemerkter Kreislauf, da das Schlucken des Speichels dem Gesunden oft gar nicht bewußt ist. Dennoch führt bei der ALS der normale (oder teilweise sogar etwas verminderte) Speichelfluß zu einer vermehrten Speichelansammlung im Mund, läuft dieser dann unkontrolliert nach außen ab ist dies nicht nur direkt unangenehm (nasses Hemd), sondern auch oft sehr peinlich.
Wichtigste Therapiemaßnahme ist daher das Schlucktraining. Sollte ein ALS-Patient mit unwillkürlichem Speichelfluß noch keine Logopädie haben, ist es allerhöchste Zeit dafür.
Genügt dies nicht mehr, ist der erste medikamentöse Schritt sogenannte Anticholinergika. Diese kennen viele von der Eigenmedikation bei See- oder Autoreisen, so ist z.B. das Scopoderm (r) -Pflaster ein anticholinerges Medikament. Leider ist dieses oft nicht erhältlich, möglich ist auch der Einsatz von Atropin-Augentropfen, die aber über den Mund eingenommen werden oder Medikamente mit anticholinergen Teilwirkungen wie das Amitriptylin.
Alle Anticholinergika, die im gesamen Körper wirken, da als Pflaster, Tablette oder Tropfen eingenommen, haben den Nachteil, dass sie auch an anderen Stellen wirken, d.h. häufig Nebenwirkungen haben: Zu Ihnen gehören vermehrtes Glaukom (erhöhter Augeninnendruck), Verstopfung, vermehrte Prostata-Beschwerden und nicht zuletzt kann das Gedächtnis beeinträchtigt sein. Alle diese Nebenwirkungen vergehen sofort wieder, wenn das Medikament abgesetzt wird, daher lohnt sich der Versuch.
Wenn dies nicht ausreichend wirkt, ist Botulinum ein oft guter Weg. Dieser Wirkstoff (oft besser unter einem Handelsnamen Botox (r) bekannt), wirkt lokal anticholinerg, dort, wo es hingespritzt wird. Es wird daher Botulinum in die Speicheldrüsen injiziert. Dies kann prinzipiell auch die verbliebenen Schluckmuskeln und Kaumuskeln schwächen, dies ist in der Hand von geübten Ärzten jedoch meist zu vermeiden. Oft erfolgt bei starkem Speichelfluß die Ernährung bereits über eine PEG-Sonde, sodass dieser Aspekt dann weniger wichtig ist. Die Botulinum-Injektionen müssen ca. alle 3 Monate wiederholt werden, dann endet die Wirkung jeweils wieder.
Wenn dies alles nichts hilft, können die Speicheldrüsen in Einzelfällen auch dosiert bestrahlt werden (Strahlentherapie, wie bei Krebserkrankungen), um die Speichelproduktion zu vermindern.
Oft findet sich ein Weg um zu lindern, ganz abstellen läßt sich das Problem jedoch nicht.

Die symptomatische Therapie von ALS-Patienten ist vielfältig und ändert sich im Verlauf der Erkrankung ständig. Sie kann die Lebensqualität der ALS-Patienten entscheidend verbessern. Beachtet werden sollte auch die Situation der pflegenden Angehörigen, die parallel zur Zunahme der Funktionseinschränkung der Patienten kontinuierlich zunimmt. Die Verminderung der Pflegebelastung der Angehörigen bewirkt sicherlich auch eine verbesserte Lebensqualität der ALS-Patienten. Umfangreiche Hilfe bei den vielfältigen Problemen der ALS-Patienten und ihrer Angehörigen bietet auch die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) mit ihren zahlreichen Muskelzentren (www.dgm.org).