ALS – Ursächliche Therapie

Anti-glutamaterge Medikamente:

Der molekulare Wirkmechanismus des Benzothiazolderivates Riluzol (2-Amino-6-trifluoromethoxy-benzothiazol, Rilutek®) ist nicht vollständig geklärt. Neben einer direkten, nicht-kompetitiven Blockade der Rezeptoren exzitatorischer Aminosäuren bedingen auch die Hemmung der Glutamatfreisetzung, die Inaktivierung spannungs-abhängiger Natrium-Kanäle und die Stimulation von G-Protein-abhängigen Signalwegen synergistisch die Wirkung von Riluzol.
Zwei plazebo-kontrollierte, randomisierte, doppelblinde Therapiestudien haben einen den Krankheitsverlauf der ALS verzögernden Effekt gezeigt. Zusammengefasst bewirkte 2×50 mg Riluzol / Tag in der ersten Studie ein längeres Überleben um im Median 3 Monate in der zweiten Studie um im Median 1,5 Monate. Die Bedeutung dieses Effektes wurde kontrovers diskutiert. Eine retrospektive Analyse der Daten legte jedoch nahe, dass besonders Patienten in frühen Stadien der Erkrankung von der Therapie profitierten. Als seltene Nebenwirkungen der Riluzol-Therapie können Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Appetitlosigkeit, Asthenie, Schwindel, periorale Parästhesien und Transaminasenerhöhungen auftreten. Mittlerweile wurden auch wenige Fälle einer toxischen Hepatitis und einer Neutropenie beschrieben.
Vor Beginn der Therapie sollte, um späteren Enttäuschungen vorzubeugen, mit dem Patienten besprochen werden, dass im Einzelfall die Wirkung für den Patienten und den Arzt nicht erkennbar ist. Bei Auftreten von beeinträchtigenden Nebenwirkungen, insbesondere Asthenie, sollte der weitere Einsatz mit dem Patienten diskutiert und abgewogen werden. Unter Berücksichtigung der Hinweise für eine vorwiegende Wirkung von Riluzol in frühen Stadien der Erkrankung und aktuellen Analysen von „open label“-Extensionen der Riluzolstudien, die eine Verlängerung der Überlebenszeit von ca. 6 Monaten vermuten lassen, ist der frühzeitige Einsatz von Riluzol zu empfehlen. Die Gabe von Riluzol wird von der American Academy of Neurology empfohlen und in einem Cochrane Review befürwortet.
Für andere gänzlich oder teilweise über einen anti-glutametergen Mechanismus wirkende Substanzen (Gabapentin, Lamotrigin, verzweigtkettige Aminosäuren, Dextrometophan, Topiramat) konnte bisher kein positiver Effekt in der Therapie der ALS gezeigt werden.

Antioxidantien und Radikalenfänger:

Vitamin E ist eines der wichtigsten körpereigenen Antioxidantien. ALS - Antioxidative TherapieVitamin E ist ein lipophiles Molekül, das durch Schutz der ungesättigten Fettsäuren gegen Lipidperoxidation zur Aufrechterhaltung der Zellmembranen beiträgt. Ein Teil des Vitamin E wird von Vitamin C regeneriert. In vitro Untersuchungen und ein Therapieversuch bei transgenen Mäusen unterstützten die Möglichkeit einer positiven Wirkung von Vitamin E bei ALS-Patienten. Eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte, plazebokontrollierte Studie mit 1000 mg Vitamin E / Tag als Zusatzmedikation zu Riluzol konnte jedoch keinen positiven Effekt nachweisen.
Aktuell wurde die Gabe von 5000 mg Vitamin E / Tag überprüft. Es wurden auch für die Einnahme von 5000mg Vitamin E / Tag keine positiven Effekte nachgewiesen. Aufgrund der geringen letztlich doch geringen Teilnehmerzahl kann jedoch ein geringer positiver Effekt sicher nicht als ausgeschlossen gelten. Nebenwirkungen sind außer gelegentlich auftretenden gastrointestinalen Beschwerden nicht zu erwarten. Von einer amerikanischen Arbeitsgruppe wurde die Einnahme von 2000 mg Vitamin E pro Tag empfohlen.
Aufgrund des reduzierenden Effektes von Vitamin C auf Vitamin E-Radikale wurde die begleitende Einnahme von 500-1000 mg Vitamin C empfohlen.

Medikamente zur Unterstützung der Mitochondrienfunktion:

Kreatin bildet zusammen mit Phosphokreatin und der Wirkung der ALS und KreatinKreatinkinase ein zelleigenes Energiepuffer- und Transportsystem, das die mitochondriale Kreatinkinase stabilisieren und die Öffnung der mitochondrialen Transitionsporen verhindern kann. Aufgrund einer Überlebensverlängerung im transgenen Mausmodell der familiären ALS wurde die Einnahme von Kreatin befürwortet. Die erste abgeschlossene randomisierte, placebo-kontrollierte Therapiestudie mit 10g Kreatin / Tag bei ALS-Patienten konnte jedoch keinen positiven Effekt der Kreatin-Einnahme nachweisen. Nennenswerte Nebenwirkungen traten nicht auf. Zwei weitere Therapiestudien mit Kreatin werden derzeit durchgeführt, die weiteren Aufschluss über die Wirksamkeit von Kreatin zur Therapie der ALS geben werden. Die Einnahme von Kreatin erscheint sicher, ihre Wirksamkeit ist jedoch durch die Studie von Groeneveld et al. erheblich in Frage gestellt.
Coenzym Q10 ist ein Semiquinon-Radikal, das im Elektronentransport der mitochondrialen Atmungskette eine Rolle spielt und als Antioxidans wirkt. Coenzym Q10 zur Therapie der ALS wird derzeit getestet.

Nervenwachstumsfaktoren:

Nervenwachstumsfaktoren können in Zellkulturen das Überleben von Motoneuronen verbessern. Alle klinischen Studien mit Nervenwachstumsfaktoren waren jedoch bisher negativ. Lediglich für IGF-1 wurde in einer Studie eine Verlangsamung der funktionellen Beeinträchtigung und der Lebensqualität gezeigt, diese Ergebnisse konnten jedoch in einer weiteren Studie nicht repliziert werden. Eine große, dritte Studie zur Klärung dieser Diskrepanz wurde begonnen.

Entzündungshemmende Substanzen:

Die Gabe von Celecoxib zeigte keinen positiven Effekt, Rofecoxib wurde vom Markt genommen. Cox2-Hemmer sind nach aktuellem Stand nicht zur Therapie der ALS geeignet und können eventuell sogar Herzinfarkte und Schlaganfälle fördern.

Antiapoptische Substanzen:

Apoptose scheint beim Zelluntergang im Rahmen der ALS eine ALS und Apoptosewichtige Rolle zu spielen. Im transgenen Tiermodell wurden positive Effekte durch die Apoptoseinhibitoren Bcl-2 und zVAD-fmk beschrieben. Das Antibiotikum Minocyclin wirkt über Hemmung der in der Apoptose involvierten Enzyme Caspase 1 und 3 antiapoptotisch und wirkt im transgenen Tiermodell der ALS neuroprotektiv. Der Effekt von Minocyclin wird in den USA bei ALS-Patienten getestet, in Europa sind derzeit Planungen für eine weitere Studie vorhanden. Bis zum Abschluss dieser Studie(n) ist die unkontrollierte Medikation mit Minocyclin nicht zu empfehlen.

Stammzelltherapie:

Außerordentliches Interesse in der Öffentlichkeit und bei ALS-Patienten hat die Diskussion über den Einsatz von Stammzellen zur Therapie von neurodegenerativen Erkrankungen wie der ALS gefunden. Neben dem Einsatz von embryonalen Stammzellen könnten auch autologe Stammzellen zukünftig eine mögliche Therapieform darstellen. Aktuell werden die Grundlagen der Stammzellselektion und –steuerung, sowie mögliche Formen der Applikation grundlagenwissenschaftlich untersucht. Ein sicherer und verantwortlicher Einsatz von Stammzellen zur Therapie der ALS ist derzeit jedoch nicht vorhanden. Erschreckenderweise gibt es außerhalb der kontrollierten Gesundheitssysteme Angebote, die ohne exakte Erklärung ihrer Vorgehensweise bereits eine Stammzelltherapie versprechen. Von diesen Angeboten, die wohl zumindest teilweise kommerziell begründet sind, ist ausdrücklich abzuraten.

Zusammenfassung:

Zusammenfassend ist zum jetzigen Zeitpunkt lediglich die lebensverlängernde Wirkung von Riluzol bewiesen. Die Hoffnungen, die in die Einnahme von Vitamin E, Vitamin C und Kreatin gesetzt wurden, konnten bisher nicht bestätigt wissenschaftlich bei ALS-Patienten untermauert werden. Diese Nahrungsmittelzusätze scheinen jedoch keine relevanten Nebenwirkungen zu haben. Vielfältige Therapiestudien werden aktuell durchgeführt. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass das Spektrum möglicher ursächlichere Therapien in naher Zukunft erweitert wird.