Archiv der Kategorie: ALS – News

Bericht vom ALS/MND-Symposium

von Susanne Werkmeister Dipl. Sozialpädagogin (FH)
Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke DGM
-Landesverband Bayern e.V.-
Muskelzentrum Erlangen

Eindrücke vom 20. Internationalen ALS/MND-Symposium 4.-10.12.2009 in Berlin

Bei der Vielfalt, die während des Kongresses durch unterschiedliche Themenstränge präsentiert wurde, ist es nur möglich, einen kleinen Teil herauszugreifen.
Ich beschränke mich hier ausschließlich auf den Teil der psychosozialen Versorgung.
Auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke www.dgm.org können Interessierte kurze Zusammenfassungen auch von den anderen Themenschwerpunkten nachlesen.
Jedes Jahr treffen sich ALS-Spezialisten aus aller Welt, um Ergebnisse ihrer Arbeit vorzustellen und zu diskutieren. Kliniker und Forscher aber auch nichtärztliche Berufsgruppen wie Physiotherapeuten, Krankenschwestern, Logopäden und Sozialarbeiter, die ALS-Patienten beraten und begleiten, sind regelmäßig vertreten. Über 900 Teilnehmer aus 35 Nationen kamen nach Berlin. Neben dem Gastland, das den Kongress mit ausrichtet, gehört die Motoneuron Disease Association (englische Selbsthilfeorganisation für ALS) in Northampton, Großbritannien zu den Hauptorganisatoren des jährlichen Symposiums. Die MNDA beschäftigt einhundert hauptamtliche Mitarbeiter.
Das Allied Professionals Forum APF fand am 07.12. statt. Dieser Veranstaltungsteil widmet sich dem breiten Spektrum der psychosozialen Versorgung und Begleitung bei ALS.

Allied Professionals Forum

Eine ALS-Ambulanz in den USA setzt Ehrenamtliche ein, um das Team der Ambulanz zu entlasten und den Aufenthalt für Patienten und Angehörige angenehmer zu gestalten.
Ein ehrenamtlicher Koordinator ist Ansprechpartner für die Ehrenamtlichen.
In Australien leben etwa 1.400 ALS-Kranke., in der Region Victoria werden 350 ALS-Patienten betreut. Sehr große räumliche Distanzen stellen dort eine besondere Herausforderung an eine gute interdisziplinäre Versorgung dar. Viele Kontakte zu und zwischen professionellen Helfern im Gesundheitssystem werden über E-Mail und Telefon
geknüpft.
In Japan sind Fragen zur Selbstbestimmung bei Entscheidungen am Lebensende schwierig und kontrovers. Dort werden relativ viele ALS-Patienten beatmet. Die Entscheidung, eine
Beatmung zu beenden, ist in Japan rechtlich nicht gestattet. Viele Patienten äußern jedoch ihrem Arzt gegenüber den Wunsch, die Beatmung einzustellen. Ein japanischer Beitrag untersuchte die Frage der professionellen Integrität und ethische Dilemmata von Neurologen
in diesem Zusammenhang.
Ein Beitrag aus Großbritannien befasste sich damit, ob Willensäußerungen, die in einer speziellen Pflege- und Versorgungsverfügung kund getan werden, den Wunsch nach dem geäußerten Sterbeort beeinflussen können.
Ca. 80% der Befragten äußerten dabei den Wunsch, zuhause sterben zu wollen. Tatsächlich verstarben nur 20-30% daheim. Ein Hauptgrund für diese Diskrepanz lag in einer plötzlichen Verschlechterung des Zustandes. Weitere Untersuchungen sollen klären, wie die Versorgung verbessert werden und dem Wunsch des Sterbeortes entsprochen werden kann.
Zwei Vorträge aus den USA konzentrierten sich auf Fragen rund um die Genetik bei der familiären ALS. Genetische Risiken, eine familiäre ALS weiterzuvererben, werden häufig
falsch eingeschätzt. Ein Informationsmaterial einer ALS-Klinik wurde vorgestellt, das in Gesprächen mit Patienten und Angehörigen, bei denen ein genetisches Risiko besteht, eingesetzt wird.
Bezüglich der präsymptomatischen Testung von Risikopersonen d.h. Durchführung eines Gentests, bevor erste Symptome auftreten, liegen Erfahrungen vor, dass die Mehrzahl der Befragten das Ergebnis des Gentests wissen wollte. Das Angebot besteht in einer Begleitung durch Gespräche und telefonische Beratung.
Besonders angloamerikanische Länder wie Großbritannien, USA, Kanada und Australien waren sehr stark vertreten. Vor allem was den Bereich der interdisziplinären Begleitung und Versorgung von ALS-Patienten anbelangt. Im Unterschied zu Europa beteiligen sich nichtärztliche Berufsgruppen viel intensiver an wissenschaftlicher Forschung auf ihrem jeweiligen Fachgebiet.

Strang: Spirituelle Begleitung und Sinn im Leben
Zwei Beiträge kamen aus dem Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin in München.
Der erste Beitrag mit dem Titel „Sinn im Leben bei ALS: Empirische Daten und klinische
Bedeutung“ betonte, dass es dabei nicht um den Sinn des Lebens geht. Vielmehr geht es darum, Patienten dabei zu unterstützen, dass sie das, was ihrem Leben Sinn verleiht und für sie bedeutungsvoll ist, behalten bzw. nicht verlieren. Dabei ist, ähnlich wie bei dem Begriff der Lebensqualität, das entscheidend, was jemand für sich als bedeutungsvoll definiert.
Das ist wiederum abhängig von persönlichen Werten.
Es wurde ein spezieller Fragebogen entwickelt (SMILE=schedule for meaning in life evaluation). Gesunde Versuchspersonen, die mit diesem Instrument befragt wurden, nannten
am häufigsten Familie, Arbeit und Freizeit als die für sie bedeutungsvollsten Lebensbereiche.
Gefragt danach, was für sie die stärkste Erfüllung darstelle, nannte die Mehrzahl eine Partnerschaft. Finanzielle Belange wurden von der Mehrzahl als am wenigsten erfüllend betrachtet.
Untersuchungen bei ALS-Patienten ergaben im Vergleich zu Gesunden keine großen Unterschiede. Im Vergleich zu Gesunden wurde die Bedeutung der Partnerschaft jedoch viel wichtiger. Im Unterschied zu Gesunden wurde die Bedeutung der eigenen Gesundheit von den ALS-Betroffenen jedoch als viel unwesentlicher eingeschätzt.
ALS-Kranke unterschieden sich in ihren Antworten nicht zu Krebspatienten, die befragt wurden. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich Werte und Konzeptionen im Laufe einer chronischen Erkrankung häufig ändern und damit auch das, was jemand für sich als bedeutungs- und sinnvoll erachtet. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Untersuchung:

  • Partner sollten in alle Behandlung- und Therapieprozesse einbezogen werden. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass diese selbst stark belastet sind.
  • ALS-Patienten wollen sich häufig aktiver einbringen, etwas nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten geben. Dies wird oft übersehen.

Der zweite Vortrag trug den Titel „Evidenzbasierte spirituelle Begleitung bei ALS: Wirklichkeit oder Wunsch?“
Als Spiritualität können innere Überzeugungen und Werthaltungen verstanden werden. Spiritualität existiert in allen Kulturen. Sehr wichtig in der Begleitung dabei ist, die Patienten in ihrer eigenen Spiritualität zu begleiten. Auf keinen Fall sollte der Versuch unternommen werden, jemanden verändern zu wollen z.B. in Richtung Glaube und Religiosität. Wichtige Ziele: Entscheidungen des Patienten, wie immer sie ausfallen, zu respektieren und darauf zu achten, dass der Patient Kontrolle und Würde behält.

Spirituelle Begleitung kann und sollte multiprofessionell geschehen, lange bevor der Pfarrer kommt. Sie sollte nicht auf Geistliche beschränkt sein. Dabei ist wichtig, mit den Patienten darüber zu sprechen, ob und mit wem im Team sie über spirituelle Fragen sprechen möchten. Im Team sollte darauf geachtet werden, wer eine besondere Beziehung zum Patienten hat. Dies ist besonders dann von Bedeutung, wenn der stationäre Aufenthalt nur kurz ist.
Gerade dann ist die Netzwerkpflege zwischen stationärer und ambulanter palliativer Versorgung ganz wichtig.
So bunt und vielfältig das Themenspektrum der Vorträge war, so vielfältig fiel die Poster-
präsentation aus, die am 09.12.stattfand. Auch hier wurde deutlich, wie viele Poster nichtärztlicher Berufsgruppen mit zum Teil wissenschaftlichen Fragestellungen zu den Bereichen, interdisziplinäre Versorgung, palliative Pflege, logopädische Therapie und Kommunikation sowie Case Management vertreten waren.

Die Atmosphäre während der Veranstaltung war sehr aufgeschlossen, herzlich und lebendig.
Es tut gut, zu wissen und zu spüren, dass rund um den Erdball Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen unterwegs sind, ALS-Betroffene und ihre Familien zu unterstützen. Das schafft eine unsichtbare Verbundenheit und das Gefühl, dass wir nicht alleine sind! Mitte Dezember 2010 wird das Symposium in Orlando/Florida stattfinden
Susanne Werkmeister

Weiteres ALS-Gen entdeckt

Neben den bereits bekannten Genen SOD-1 und TDP-43 wurde nun ein weiteres Gen entdeckt, welches für eine Gruppe der familiären Form der ALS ursächlich ist. Das Gen mit der Bezeichnung ALS-6 wird als weiterer Meilenstein in der Erforschung der Krankheit angesehen.
Nach jetzigem Stand ist es zwar nur in etwa 4% der Fälle bei den an familiärer Form erkrankten ALS-Patienten nachweisbar, erlaubt aber dennoch die Erforschung, ob es Gemeinsamkeiten mit den beiden anderen Genen gibt. Sollte dies der Fall sein, ist dies für die Grundlagenforschung und der Erschaffung besserer Mausmodelle von großer Bedeutung.

Rheinland-Pfalz startet mit ALS-Register

In einer bisher einmaligen Aktion, versucht die Neurologische Klinik am Klinikum Ludwigshafen neue Erkenntnisse für mögliche Ursachen der ALS zu finden.
Seit dem 01.10.2009 werden alle neu erkrankten ALS-Patienten erfasst und dabei über einen Fragebogen zu bisherigen Lebensstil, zu vorausgegangenen Unfällen oder psychischen Extremsituationen sowie zur familiären und beruflichen Situation befragt. Die Teilnahme ist freiwillig und wird unter strengen datenschutzrechtlichen Kriterien durchgeführt. „Diese persönlichen Daten sind äußerst wichtig, um mögliche und bisher nicht bekannte Ursachen einer ALS zu erfassen. Darüber hinaus bitten wir die Patienten um eine Einschätzung ihrer derzeitigen Lebensqualität anhand einer vorgegebenen Skala“, erläutert Studienleiter Dr. Joachim Wolf, Oberarzt der Neurologischen Klinik.
Ähnliche Projekte gibt es bereits in Italien, Schottland und Irland wo bereits umfangreiche Daten vorliegen.
Ein ähnliches Projekt in Deutschland wurde durch Herrn Prof. Ludolph von der Uniklinik Ulm bei der DFG beantragt. Die Entscheidung ob das Projekt gestartet werden kann, steht aufgrund finanzieller Fragen noch aus.

Enzym könnte helfen

Wissenschaftler verschiedener US-Universitäten haben in einer Variante des aktivierten Proteins C (ACP) das Potenzial entdeckt, den Zelltod bei ALS-Patienten zu verzögern. Dies konnte in Versuchen mit den transgenen Mäusen nachgewiesen werden. Das entzündungshemmende Enzym ACP verlängerte dabei das Leben der Mäuse mit fortgeschrittener ALS um 25 Prozent.
Eine abgewandelte Form des ACP ist bereits in der Therapie gegen Sepsis im Einsatz und zugelassen. Laut Studienleiter ist diese aber aufgrund von zu hohen Nebenwirkungen wie beispielsweise unkontrollierte Blutungen für die Therapie bei ALS-Patienten ungeeignet. Nun sollen aber andere Varianten des Enzyms an den SOD1-Mäusen getestet werden. Eine Studie an ALS-Patienten kann aber frühestens in 5 Jahren erfolgen.

Immunsystem bei ALS-Patienten altert

Scheinbar altert das Immunsystem bei ALS-Patienten rasend. Dies konnten nun ein Team aus amerikanischen und israelischen Wissenschaftler anhand von Tests bei ALS-Patienten und ALS-Mäusen nachweisen.
Die so genannte CD4+ T-Zellen (Abwehzellen im Immunsystem), wachsen und reifen im Thymus, bevor sie ins Blut gelangen. Die Anzahl der zu den Lymphozyten zählenden Helferzellen, sind bei ALS-Patienten reduziert. Die Folge ist, dass der Thymus sich verkleinert und die Funktion daher beeinträchtig wird. Dies geht einher mit dem Untergang der Motoneuronen, welche für die Muskelbewegungen zuständig sind.
Michal Schwartz, Professor für Neuroimmunologie am Weizmann Institut in Rehovot, Israel und Autor der Studie sagte: „Wenn sich die Fehlfunktion der T-Zellen als Faktor zur Entwicklung von ALS bestätigen lässt, sollten neue Therapiestrategien genau darauf abzielen. Der Thymus könnte wiederhergestellt oder transplantiert werden“.

Lithium – aktueller Forschungsstand

An der Universität Milano wurde eine kleinere Studie zur Behandlung mit Lithium bei der ALS durchgeführt. Hierbei wurden der bekannten SOD-1 Maus ab dem 75. Tag Lithium verabreicht. Im Schnitt verringerte sich die Überlebenszeit um 9 Tage, sodass dies auf den ersten Blick eher ernüchternd ist.
Dennoch ist diese kleine Studie nicht als repräsentativ anzusehen. In Italien läuft derzeit bereits eine Studie an ALS-Patienten und in den Ländern England, USA und Kanada ist ebenfalls eine entsprechende Studie geplant. Die Ergebnisse sind abzuwarten um eine eindeutige Aussage über die Wirksamkeit von Lithium bei ALS zu treffen.

Mito Target Studie (TRO 19622)

In verschiedenen Untersuchungen wurde eine mögliche positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufes bei ALS-Patienten mit Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie beobachtet. Der Zusammenhang ist letztlich noch unerforscht. Ein Medikament der französischen Pharmafirma „Trophos“ hat Ähnlichkeiten in der Struktur wie Cholesterin und hat bei der Anwendung an ALS-Mäusen Hinweise für eine Krankheitsverlangsamung ergeben.
In einer 18-monatigen Therapiestudie in Deutschland, Frankreich Belgien und Italien soll das Medikament in Verbindung mit Riluzol getestet werden.

Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer

Der Verlust der Sprache wiegt für die meisten ALS-Patienten besonders schwer. Zwischenzeitlich gibt es einige technische Möglichkeiten wie Sprachcomputer, Augensteuerung u.s.w. um dies auszugleichen. Die allgemein verfügbaren Hilfsmittel sind weit entwickelt und gut nutzbar, sie erfordern lediglich die Fähigkeit mit Fingern oder Augen kleine Bewegungen auszuführen. Für Menschen, die dies nicht mehr können, sind sie aber nicht geeignet. Für solch schwer betroffene Patienten ist das Institut für medizinische Psychologie und Neurobiologie in Tübingen einem anderen Ansatz auf der Spur. Dort beschäftigt man sich mit der sogenannten „Gehirn-Computer-Schnittstelle“. Mit Hilfe kleiner Elektroden werden ähnlich wie beim EEG die Gehirnströme gemessen und ausgewertet. Mit einigem üben kann man hierüber Willensäußerungen kundtun wie „Ja“ oder „Nein“. Der Ansatz ist sehr aufwändig und sicher nur für einzelne Patienten sinnvoll und begehbar. Derzeit werden vom Institut zwei Studien durchgeführt, für die noch ALS-Patienten gesucht werden.

Bericht über das 19. Symposium über ALS/MND

Jährlich findet – organisiert von der British Motor Neuron Disease Association (MNDA) ein international einzigartiges, mehrtägiges wissenschaftliches Symposium zu allen Aspekten der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) statt. Das diesjährige Symposium fand in Birmingham statt. Eine Besonderheit des Kongresses liegt an dem freien Zugang für Patienten und Angehörige. Der Kongress bietet parallel klinische Sitzungen und wissenschaftliche Sitzungen an.

In den klinischen Sitzungen wurden mögliche Differentialdiagnosen zur ALS dargestellt. Großes Interesse fand die differenzierte Analyse des Krankheitsverlaufes aufgeteilt nach dem Betroffensein des oberen und/oder unteren Motoneurons. Klinische Sonderformen wie das so genannte Flail-arm- oder Flail-leg-Syndrom sind demnach in ihrem Verlauf durch die deutlich geringere Progression abgrenzbar. Eine sehr differenzierte Analyse eines großen Patientengutes aus zwei Zentren wurde vom Kings-College London vorgestellt. Der Vergleich der Zentren London und Melbourne zeigte ein sehr gleichartiges Bild mit ca. 30 % Anteil an ALS-Formen mit bulbärem Beginn, ca. 50 % ALS-Formen mit Extremitätenbeginn und 10 – 20 % der Erkrankungen mit reiner Beteiligung des unteren Motoneurons. Die Patienten mit reiner Beteiligung des unteren Motoneurons hatten eine 3-4-fach längere Periode bis zur Ausbreitung der Symptome auf eine andere Extremität (8 Monate zu 29 bzw. 32 Monate). Dementsprechend war auch die Lebenserwartung dieser Patienten deutlich höher. Ein weiterer Beitrag beschrieb klinische Charakteristika der anderen Sonderform von Motoneuronerkrankungen, die mit reiner Beteiligung des oberen Motoneurons, auch primäre Lateralsklerose, PLS, genannt: Es zeigte sich eine relativ geringe Progression der reinen PLS mit weitgehend guter Funktion, normaler Atemfunktion und ohne Gewichtsverlust. Von einer PLS kann weitgehend sicher ausgegangen werden, wenn vier Jahre nach Beginn der Erkrankung keine Zeichen einer Beteiligung des unteren Motoneurons in der Elektromyographie nachweisbar sind.
Mit großem Interesse wurden auch Berichte zu unterschiedlichen Umgangsformen mit der Erkrankung in unterschiedlichen Kulturen aufgenommen. In einer amerikanischen Studie konnte kein sicherer Unterschied der Lebensqualität zwischen Patienten, die regelmäßig in einer ALS-Spezialambulanz gesehen werden, und denen, die an anderer Stelle versorgt werden, gefunden werden. Dieser fehlende Unterschied wurde lebhaft diskutiert. Möglicherweise hat die Befragung über das Internet eine Vorauswahl verursacht. Denkbar ist auch, dass die Gesamtsituation von ALS-Patienten so komplex ist, dass die Betreuung in einer Spezialambulanz sich nicht in der Gesamtlebensqualität niederschlägt und dennoch wertvoll ist. Ein genereller Zweifel an dem Nutzen von ALS-Spezialambulanzen kann hieraus sicher nicht gezogen werden.
In Japan werden vergleichsweise mehr ALS-Patienten invasiv beatmet als in anderen Ländern. Oftmals wird von Nicht-Japanern vermutet, dass dies an einer eher direktiven Arzt-Patienten-Beziehung und einer geringeren Aufklärung der Patienten läge. Eine Arbeitsgruppe aus Japan eine stellte Details zur Aufklärung von Patienten und zu den Informationen, die in ihrer ALS-Klinik an die Patienten gegeben wurde, dar. Es zeigte sich, dass 96 % der Patienten eine gut informierte Entscheidung trafen. Davon wurden 17 % maschinell invasiv beatmet. Dies entspricht der durchschnittlichen Beatmungsfrequenz in Japan. Die Referenten vermuteten, dass die starke Patienten-Familien-Beziehung in Japan und die einfache Finanzierung die entscheidenden Faktoren für die hohe Beatmungsrate in Japan sind.
Eine holländische Arbeitsgruppe analysierte als Psychologin die deutlich entgegengesetzte Vorgehensweise in den Niederlanden. Diese ist geprägt durch die Möglichkeit zur Euthanasie und zum ärztlich unterstützten Suizid. Sie zeigte, dass in den Niederlanden eine hohe Raten von Patienten, insgesamt knapp 30 %, eine intensivierte Symptomerleichterung im Sinne einer spezifischen palliativen Behandlung erfährt. Nur insgesamt 17 % der Patienten wählen die Euthanasie oder den ärztlich assistierten Freitod. Sie zeigte, dass die Patienten, die palliativ-medizinisch behandelt wurden, sich von den Patienten, die die Euthanasie wählten, und von den Patienten, die weder/noch erhielten, sich in der verfügbaren Pflegeunterstützung, den medizinischen Möglichkeiten, der finanziellen Ausstattung, der Symptomkontrolle, der mentalen Unterstützung als auch den depressiven Symptomen nicht unterschieden. Allerdings zeigten Patienten, die die Euthanasie wählten, eine größere Hoffnungslosigkeit und starben häufiger zu Hause. Sie waren zudem weniger religiös und tendenziell höher gebildet. Zudem hatten sie eine größere Furcht davor, im Rahmen der Erkrankung zu ersticken. Diese Befunde zeigten sich in den letzten 15 Jahren weitgehend stabil, auch in Bezug auf die Verteilung. Die Untersuchungen sprechen dafür, dass Patienten in den Niederlanden nicht aus mangelnder Betreuung die Euthanasie wählen.

In den wissenschaftlichen Sitzungen wurden nur wenige Therapiestudien berichtet. Vorwiegend ging es um Grundlagenforschung. Eine sehr wichtige aktuelle Fragestellung ist die Klärung der Rolle des Proteins TDP43. Dieses Protein wurde als Ablagerung in den Nervenzellen von Patienten mit ALS gefunden. Bisher konnten alle Studien, die ALS-Patienten untersuchten, dieses Protein nachweisen. Dieses Protein wird jedoch auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen gefunden, jedoch nicht in dieser Regelmäßigkeit. Die Funktion von TDP43 ist vielfältig und noch nicht vollständig verstanden. TDP43 ist als Transportprotein vom Zellkern in das Zytoplasma wichtig. Es kann ähnlich wie die mutierte SOD1 intrazelluläre Einschlüsse bilden. Allerdings konnte kein Zusammenhang zwischen dem Verteilungsmuster von TDP43 im Rückenmark mit der klinischen Symptomatik der untersuchten Patienten gefunden werden. Dies, als auch das Auftreten bei anderen neurodegenerative Erkrankungen, macht die Spezifität des Proteins für die ALS sehr fraglich.
Eine eigene Sitzung beschäftigte sich auch mit der Hypothese, dass als exogener Faktor ein Produkt von Zyanobakterien, das „PMAA“, zur Entstehung der ALS beitragen könnte. Ursprünglich rückte das PMAA ins Interesse der Forscher, da es in Guam eine eindeutige Häufung von ALS-Erkrankungen gibt. Dies konnte zurückgeführt werden auf ein Nervengift, das BMAA, das ursprünglich von Bakterien produziert, biologisch durch verschiedene Schritte (Pflanzen, Tiere) angereichert wird und dann seine toxische Wirkung entfalten kann. Allerdings gibt es auch in anderen Stellen der Welt Abkömmlinge der Zyanobakterien. Auch von diesen produziertes BMAA wurde in Nahrungsmitteln und Wüstensand durch mehrere Laboratorien nachgewiesen. BMAA kann Motoneurone durch Aktivierung eines Glutamatrezeptores (AMPA-Rezeptor) schädigen, aber auch andere Mechanismen können zum Tragen kommen. BMAA wurde auch bei ALS-Erkrankten im Gewebe nachgewiesen. Hier ist auffallend, dass auch Patienten mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie z. B. der Alzheimer-Erkrankung Spuren dieses Stoffes in sich tragen. Inwieweit BMAA wirklich eine klinische Bedeutung hat in der Entstehung der ALS, ist daher noch unklar. So verwenden auch Menschen in Südamerika das Mehl von Zykaden, das in Guam als ein Zwischenanreicherungsschritt gilt, ohne dass bisher eine Häufung von Erkrankungen in diesen Regionen gefunden wurde. Denkbar ist auch, dass nicht alle Menschen gleich empfindlich auf den Kontakt mit BMAA reagieren. Es könnte eine unterschiedliche Aufnahme und Ausscheidung von BMAA eine Rolle spielen, als auch ein unterschiedlicher Übertritt ins zentrale Nervensystem. Die Forschung bzgl. des Neurotoxins BMAA befindet sich noch am Anfang. Inwieweit konkrete Rückschlüsse für ALS-Patienten zu erwarten sind, ist noch offen.

Als einzige Therapiestudie im Sinne einer ursächlichen Therapie wurde eine kleine Studie mit Co-Enzym Q10 im Vergleich zu Placebo vorgestellt. Diese konnte keine eindeutige positive Wirkung von Co-Enzym Q10 nachweisen, war jedoch für eine endgültige Aussage sicherlich zu klein.

Die hier dargestellten Aspekte sind ein subjektiver Ausschnitt aus den vorgestellten Ergebnissen. Die Bedeutung des Treffens liegt nicht nur in der Mitteilung neuer Nachrichten, da hierzu auch andere Medien (Puplikation, Pressemitteilung etc.) möglich sind. Ein ganz wichtiger Aspekt liegt sicherlich auch in dem Aufbau von Beziehungen und Netzwerken, was diesen Kongress so wichtig für die weitere Forschung und klinische Betreuung von ALS-Patienten macht.

IGF-1 Studie ohne Effekt auf ALS

Eine Studie über die Wirksamkeit einer Hormontherapie (IGF-1, einem Insulinähnlichem Wachstumshormon) in den USA, bestätigte das negative Ergebnis einer zuvor durchgeführten EU-Studie.
Eine vorangegangene US-Studie hatte Hoffnungen auf möglichen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei ALS geweckt. Durch Forschern von der Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, wurde deshalb eine placebokontrollierte Studie an 330 ALS-Patienten initiiert, welche auf einer Dauer von 2 Jahren ausgelegt war. Es zeigten sich jedoch keine Unterschiede zwischen den mit IGF-1 und den mit einem Placebo behandelten Patienten hinsichtlich der Muskelkraft, Atmung und der verloren gehenden Fähigkeiten, den Alltag zu meistern.