Retroviren als möglicher Verursacher bei einer ALS?

Guten Tag Herr Professor Dr. Hecht,
im Deutschen Ärzteblatt wurde eine US Studie erwähnt, die endogene Retroviren als möglichen Verursacher oder zumindest starken Beteiligten an der ALS sieht. Die Vermehrung dieser Herv-k Viren wäre vermutlich durch HIV Medikamente, welche die RNA Transkription hemmen, einzuschränken. In den USA werden nun in Stufe eins klinische Tests mit Erkrankten durchgeführt.
Was halten Sie von diesem Ansatz? Sind in Deutschland ähnliche Studien angedacht?

Prof. Dr. Martin Hecht:
Die im Deutschen Ärzteblatt zitierte Studie ist sehr hochrangig publiziert und kommt aus einer guten Arbeitsgruppe. Sie stellt einen möglichen Zusammenhang mit ins menschliche Erbgut integrierte sogenannte Retroviren und der ALS her. Ergänzend stellen die Autoren auch eine Verbindung zum vieldiskutierten Eiweiß TDP-43 her und sie konnten durch akute Infektion von Mäusegehirnen mit dem Retrovirus HERV-K eine Erkrankung von Motoneuronen auslösen.
Dennoch bestehen zunächst mehr Fragen als Antworten: Sind die Ergebnisse reproduzierbar? Sind die Ergebnisse wirklich beweisend für eine primäre Aktivierung der retroviralen Anteile im Erbgut der Patienten? Was ist zuerst da, die TDP-43 -Veränderung oder der aktivierte retrovirale Genanteil? Wenn die retroviralen Erbgut-Anteile wirklich krankheitsauslösend sind, betrifft das alle ALS-Patienten oder nur einen bestimmten Anteil? Warum hat die zurückliegende, erste Studie mit Antiretroviralen Medikamenten keinen Erfolg erbracht?
Diese Fragen müssen nun in wissenschaftlichen Studien bearbeitet werden. Dabei kann auch ein Teil eine Therapiestudie mit antiretroviralen Substanzen sein, dies sollte aber unter kontrollierten, wissenschaftlichen Bedingungnen stattfinden. Von einer eigenständigen Einnahmen solcher Medikamente ist aktuell dringend abzuraten.
Insbesondere die großen ALS-Zentren Deutschlands (z.B. Ulm, Hannover, Berlin) werden im Falle einer Welt- oder Europaweiten Therapiestudie sicher beteiligt sein.